Wo waren die Bots? Twitter-Analyse zur Bundestagswahl 2017
Wann kommen die Social-Media-Bots und die digitalen Angriffe auf die Bundestagswahl? Neben den eigentlichen politischen Themen war dies eine der wichtigsten Fragen im Vorfeld. Vergleicht man die Daten der deutschen Wahl mit Informationen der US-Wahl oder aus Frankreich, so wird eins klar: Es gab zwar digitale Kampagnen, die waren aber längst nicht so ausgereift und weitreichend wie in anderen Ländern.
Unser Experte Andy Patel hatte vor allem Twitter im Visier, ab August hat er Daten gesammelt und analysiert. Ziel war es, Trends zu erkennen und mögliche Einmischungen zu sehen. Und die gab es tatsächlich. Allerdings ist es wahrscheinlich den hiesigen Social-Media-Gewohnheiten zu verdanken, dass sie keine größeren Auswirkungen hatten. Twitter etwa, ein beliebtes Propaganda-Werkzeug in der US-Wahl, hat hierzulande einen Marktanteil von 4,74 Prozent, das Bilderboard Pinterest kommt auf 13,04 Prozent, Facebook liegt mit 71,11 Prozent klar vorne. Das bestätigen die Daten von Andy: Durchschnittlich sind nur 0,5 Prozent aller Tweets während eines europäischen Arbeitstages auf Deutsch.
Tweet-Explosion am Wahlabend
Sieht man sich Tweets zur Wahl an, so wurden im letzten Monat normalerweise zwischen zwei und fünf Tweets pro Sekunde abgesetzt. Zwei Ausnahmen gab es: Die TV-Duelle und der Wahlabend.
Gerade der Sonntag brachte eine wahre Twitter-Explosion mit: Bereits vor 18 Uhr gab es durchschnittlich zehn Tweets pro Sekunde, kurz nach Verkündung der ersten Prognosen schoss das Volumen auf über 120 Tweets/Sekunde.
Das bilden auch die Trending-Daten von Twitter ab. Opposition und #Jamaika wurden nach oben gespült, der Hashtag #fckafd tauchte auf und wurde sofort in die Trending-Themen übernommen.
Wahlbeobachter und Wahlbetrug
Apropos AfD: Die Sorgen, dass Trolle deren Themen aufgreifen und damit öffentliche Meinung und Wahlkampf beeinflussen lag wie ein Schatten über der Bundestagswahl. Unsere Daten können das so nicht bestätigen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Hashtag #wahlbetrug, der kurz nach Bekanntgabe der Ergebnisse von AfD-Unterstützten (darunter auch Accounts, die Pegida oder der Identitären Bewegung nahestehen) verbreitet wurde.
Etwas Hintergrund dazu: Bereits Monate vor der Wahl befürchteten Twitterer aus dem rechten Spektrum, dass die Bundestagswahl manipuliert wird. Unter dem Hashtag #wahlbeobachter forderten sie Gesinnungsgenossen auf, sich als Auszähler zu melden und überhaupt als Wahlhelfer aktiv zu werden. Unregelmäßigkeiten sollten dokumentiert und veröffentlicht werden. Als die OSZE selbst Wahlbeobachter schickte, wurde dies als Bestätigung aufgenommen – obwohl die Bundesregierung die Beobachter selbst einlud, diese schon 2009 und 2013 dabei waren und Deutschland eine solide Basis für authentische demokratische Wahlen bestätigt wird.
Kurz nach der Wahl wurde aus #wahlbeobachter dann #wahlbetrug. Unsere und Daten von anderen Analysten zeigen, dass Tweets zum vermeintlichen Wahlbetrug von kommerziellen Botnets verstärkt getweetet wurden. Besonders aktive Nutzer wechselten zeitnah von einem Hashtag auf den anderen. Dazu kommt ein hoher Automatisierungsgrad. Genutzt wurden Tools wie IFTTT, mit denen zeitlich gesteuerte Tweets publiziert werden können.
Dennoch sieht man einen deutlichen Unterschied zwischen solchen künstlich gepushten Themen und nativ wachsenden Hashtags. Verglichen mit #fckafd konnte #wahlbetrug nur einen Bruchteil der Retweets und Antworten erreichen, auch war er nicht in den Trending Topics.
Auf der Agenda der „Alt-Right“
Andys Skripte suchten in den Tweets nach bestimmten Mustern. Die Ausgangsdaten dafür waren neben den eigentlichen Texten und Links auch Metadaten des Nutzerkontos. Das Ziel dabei: Wir wollten herausfinden, ob und wie viel Aktivität sich sogenannten „Alt-Right“-Gruppen zuweisen lässt, die das Ziel haben, ein rechtes Narrativ oder eine rechte Agenda zu pushen. Rund 15 Prozent des gesammelten Datenverkehrs passen in dieses Muster. Am Wahlwochende sammelte das Skript von Freitag bis Sonntag rund 1,2 Millionen Tweets, etwa 170 00 Nachrichten erkannte die Logik als potentielle Agenda-Tweets. Verteilt wurden sie von knapp 3300 Accounts.
Es gibt zwei Beiträge, die mit die meiste Aktion erzeugten: Ein Video des Accounts V_of_Europe (der nach eigenen Angaben „unzensierte Nachrichten“ verspricht) zeigte einen Mann (im Text als „Migrant“ bezeichnet, konkrete Hinweise auf diesen Status gibt es nicht), der Wahlplakate der AfD abreißt.
Diese Nachricht wurde parallel in anderen Sprachen, darunter russisch, auf Twitter verteilt und sorgte für eine vergleichsweise hohe Resonanz.
Ein weiterer breit geteilter Beitrag beschrieb auf Englisch, wie Merkel bei einem Wahlkampfauftritt in München ausgebuht wurde. Dieser Vorfall geschah tatsächlich, laut dem Münchner Merkur hatten Pegida und AfD „nur wenige Meter“ von der Wahlkampfveranstaltung eigene Demonstrationen angemeldet. Parallel dazu waren auch linke Gruppen aufmarschiert.
Neben diesen konkreten Vorfällen wurden zahlreiche Meldungen von fragwürdigen Nachrichtenseiten und bekannten Pro-Trump-Accounts geteilt. Die Reichweite war allerdings minimal, Inhalte wurden kaum retweetet oder favorisiert.
Twitter beeinflusst Wahl kaum
Insgesamt fand Andy Patel rund 200 000 individuelle URLs, die in diesem Zeitraum im Zusammenhang mit der Wahl geteilt wurden. Davon waren nur 500 Links eindeutig fragwürdigen Quellen zuzuordnen. Ähnlich sieht es bei Nutzern aus. Von den rund 400 000 eindeutigen Twitter-Nutzern waren lediglich 3000 für sogenannte „Fake News“ mit verantwortlich (und dazu dürften viele die Inhalte der Satirezeitung „Der Postillion“ geteilt haben, die kurz vor der Wahl zahlreiche Artikel veröffentlichte).
Mit der am stärksten geteilte Inhalt stammt vom Satire-Account Frau_Kepetry und zeigt in einem GIF die ehemalige AfD Frontfrau Frauke Petry, der eine andere Frau hinter ihrem Rücken zwei Effenberg-Finger zeigt.
Andy Patel meint, dass aufgrund des geringen Marktanteils von Twitter hierzulande die Wahl kaum beeinflusst worden sei. Vielmehr ging es den Verbreitern rechter Inhalte darum, neue Mitglieder und Sympathisanten zu finden.
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